Über ethische Grundfragen zu diskutieren ist ein Anliegen der Volkshochschule, die seit 2018 Veranstaltungen über „Tiere und Ethik“, Tierversuche, „Warum wir Tiere lieben und trotzdem essen“ oder „Würdiges Sterben“ thematisiert. Angesprochen wird auch der medizinisch-technische Fortschritt, der immer weiter voranschreitet.
Um Beratung, Tests und Diagnostik beim ungeborenen Leben ging es bei der Diskussion im August 2023.
Beim ungeborenen Leben beginnt für Eltern während der Schwangerschaft eine große Herausforderung: Wie treffen sie eine ganz persönliche Entscheidung, wie viel sie über die Entwicklung ihres Kindes erfahren wollen? Schon durch die ersten Ultraschallbilder während der Vorsorgeuntersuchungen erhalten die Eltern viel mehr als ein erstes Foto des Ungeborenen.
„Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wollen wir unterschiedliche Aspekte und Auswirkungen pränataler Diagnostik thematisieren. Dabei geht es auch um die Frage, welche Bedeutung und Konsequenzen das Angebot von nicht invasiven Pränatal Tests (NIPT) für werdende Eltern, für die Menschen mit Behinderung und ihre Familien sowie für uns als Gesellschaft insgesamt haben“, führt vhs-Direktorin Dr. Anna Ringbeck ganz zu Beginn in die Veranstaltung ein.
vhs-Direktorin Dr. Anna Ringbeck lud zur Diskussion ein.
Drei Ultraschalluntersuchungen gehören im Verlauf der Schwangerschaft zu den bildgebenden Vorsorgeuntersuchungen, denen werdende Eltern mit Freude entgegensehen. Ultraschallbilder waren aber „damals sehr unscharf und kaum etwas darauf zu erkennen…“, so der Beigeordnete für Bildung, Jugend, Familie und Sport der Stadt Münster, Thomas Paal, mit Blick auf die 90er Jahre und seine eigenen Kinder.
Thomas Paal, Beigeordneter der Stadt Münster, begrüßte die Gäste
Bei der Podiumsdiskussion „Pränatale Diagnostik – Fluch oder Segen?“ im vhs-Forum wies Philosoph Prof. Dr. Michael Quante, Uni Münster, auf die ethischen Fragen hin, die sich für werdende Eltern und die gesamte Gesellschaft ergeben.
v. li. Moderatorin Andrea Hansen, Prof. Dr. Ralf Schmitz, UKM, Prof. Dr. Michael Quante, WWU, Dr. Angelika Dohr, pro Familia und Andrea Giebeler, EUTB, und Lebenshilfe Münster e. V. im vhs-Forum
Für welche vorgeburtlichen Untersuchungen soll sich ein Paar entscheiden? Wie würde die junge Familie, ihr Umfeld und die Gesamtgesellschaft mit einer möglichen Behinderung umgehen? Was mache es Eltern so schwer, eine Entscheidung zu treffen?
Darüber müssten sich Eltern Gedanken machen und eine ethische Abwägung treffen. Denn das Ergebnis stelle sie vor ein Dilemma, so Professor Dr. Michael Quante von der Uni Münster. An die Bildungseinrichtungen gewandt forderte er eine Beschäftigung mit ethischen Themen für Kinder ab der Grundschule. Künftige Generationen würden immer öfter derartige Entscheidungen treffen müssen, so der Bioethiker. Michael Quante ging es vor allem um eine ergebnisoffene Beratung. Ob sich die Eltern für die Beibehaltung der Schwangerschaft entschieden oder nicht, sei eine schwierige Abwägung.
Dr. Angelika Dohr, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
„In der seit Jahren geführten Debatte sind wir leider keinen Schritt weitergekommen,“ meint die Gynäkologin Angelika Dohr, die schon 2012 eine Stellungnahme aus Sicht von pro Familia geschrieben hat. Die Sequenzierung des Erbgutes habe zuerst die Erkennung der Trisomien 18, 21 und 23 ermöglicht. Der Test aus mütterlichem Blut sei aber erst der Anfang für viele weitere Tests, prognostizierte Angelika Dohr.
Ihre Elternberatungen im Universitätsklinikum Münster sieht sie als kooperierende Beraterin und ärztliche und systemische Psychotherapeutin von großer Übereinkunft der Paare geprägt. Sie hob die interdisziplinäre Zusammenarbeit vieler medizinischer Fachrichtungen im Universitätsklinikum Münster für das Wohl der werdenden Mutter und des Kindes hervor.
Pränatale NIPT-Tests geben eine statistische Wahrscheinlichkeit an
Bei nicht-invasiven Verfahren wird mithilfe verschiedener Parameter wie dem Alter der Mutter, bestimmten Blutwerten und weiteren „Softmarkern“ eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für eine Erkrankung oder Behinderung des Kindes berechnet. Das heißt also, dass nach einer nicht-invasiven Untersuchung keine Diagnose vorliegt, sondern nur eine statistische Aussage über die Wahrscheinlichkeit. Im Wesentlichen handelt es sich bei diesen Untersuchungen um die Abklärung von Trisomie 21, 18 und 13.
Seit dem 1. Juli 2022 übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für den nicht invasiven Pränatalen Test (NIPT) auf die Trisomien 13, 18 und 21. Damit wird festgestellt, ob das werdende Kind wahrscheinlich eine Trisomie hat oder nicht. Der Test dient im Unterschied zu anderen vorgeburtlichen Untersuchungen nicht dem Ziel, eine Heilung zu ermöglichen. Die Eltern können sich gegebenenfalls auf eine Erkrankung oder Behinderung ihres Kindes einstellen. Unter Umständen kann die Geburt entsprechend vorbereitet, Entscheidungen über das eigene Leben sowie das Leben des Kindes nach der Geburt getroffen und geplant werden.
Durch weitere vorgeburtliche Untersuchungen wird das Risiko einer Krankheit oder Behinderung eher einschätzbar. Die invasiven Untersuchungen greifen im Unterschied zu den nicht-invasiven Untersuchungen in den Körper der Frau ein, indem Gewebeproben des entstehenden Mutterkuchens, Fruchtwasser oder kindliches Blut entnommen werden. Mit den gewonnenen Proben soll abgeklärt werden, ob beim Kind eine Chromosomenstörung oder eine schwerwiegende Erbkrankheit (sofern eine familiäre Anlage bekannt ist) vorliegt. Sie sind frühestens ab der 12. Schwangerschaftswoche möglich.
Prof. Dr. Ralf Schmitz, Gynäkologe und Leiter der Geburtshilfe und Pränatalmedizin im Universitätsklinikum Münster
Professor Dr. Ralf Schmitz sieht den medizinischen Fortschritt bei der pränatalen Diagnostik, Geburtsvorbereitung („auch für werdende Väter“) und der Geburt positiv: „Wir haben immer mindestens drei Menschen im Blick“, meint er und legt besonderes Augenmerk auf einen menschlichen Umgang mit den Schwangeren, den Familien und ihren Bedürfnissen und Ängsten. Speziell ausgebildete Ärzte mit einer Qualifizierung nach der Deutschen Ultraschall Gesellschaft (DEGUM) der Stufen II und III und hochmoderne 3D-fähige Ultraschallgeräte bieten ein höchstes Maß an Qualität und Sicherheit. Diese qualifizierten Ärztinnen und Ärzte sollten Eltern aufsuchen. Was die medinische und gesellschaftliche Entwicklung in Richtung Inklusion angehe, sagt er: „Ich bin da Optimist.“
Andrea Giebeler, EUTB-Beratung
Andrea Giebeler, Ergänzende unabhängige Teilhabe-Beratung (EUTB) und Elterngruppe für Kinder mit Downsyndrom der Lebenshilfe Münster e. V., rät Eltern, auch Angebote von nicht ärztlichen Beraterinnen und Beratern zu nutzen. Andrea Giebeler, selbst Mutter einer 18-jährigen Tochter mit Downsyndrom, rät Eltern zu einer Beratung, die über die ärztliche Information und Betreuung hinausgeht. Beraterinnen und Berater bei EUTB seien geschult, viele Fragen rund um den möglichen Ausgang einer Schwangerschaft zu beantworten. Giebeler klärt schon während der Schwangerschaft über persönliche und familiäre Fragen auf und warnt vor einem gesellschaftlichen Normierungsdruck.
Aber auch die praktischen Hindernisse auf dem Weg bei der Betreuung eines Kindes mit vielfältigen Einschränkungen seien groß, viele Anträge zu stellen. Als echten Fortschritt in der Unterstützung sieht sie Pflege- und Betreuungsgeld: „Um vieles andere müssen wir kämpfen.“ Und das kann nicht jeder gleich gut. Mehr Infos unter https://www.lebenstraum-teilhabeberatung.de/
Robert Giebeler und seine Tochter sitzen in der 1. Reihe im vhs-Forum
Moderatorin Andrea Hansen gab den Erfahrungen und Sichtweisen der vier Podiumsteilnehmerinnen und –teilnehmern genügend Raum und wandte sich auch ans Publikum.
Inklusion als äußeres „Sichtbar werden“ von Menschen mit Behinderungen und ihren Familien in der Gesellschaft – diesen Wunsch hatte Angelika Dohr von pro Familia für eine veränderte und offenere Gesellschaft.