Gender ist die englische Übersetzung für das soziale Geschlecht, „sex“ für das biologische, und die Dimensionen verschwimmen in der aufgeregten Diskussion gerade.
Sigi Lieb klärte in ihrer Lesung am 29. Januar, im vhs-Forum über Geschlechter, ihre vielfältigen Bedeutungen nach Kategorien und die Abkürzungen im Akronym LGBTQIA+ auf. Und das mit viel Emphatie und Wissen.
Wer bin ich, Frau, Mann? „Ich wollte früher immer ein Junge sein,“ spielte die Kölnerin gerne mit den Rabauken. Durchsetzungsstarke Mädchen sind nicht so beliebt wie kampflustige Jungen.
Auch die Prinzessinnen im Märchen schaffen extreme Frauenbilder: Ungleichheit zwischen den sehr viel häufiger dargestellten Männern und im höheren Alter kaum noch sichtbaren Frauen, die sich bis heute in den Medien findet, stellt sie anhand der Untersuchungen im Auftrag der MaLisa-Stiftung von Schauspielerin Maria Furtwängler und ihrer Tocher Elisabeth vor.
Die Kölner Autorin Sigi Lieb mit ihrem neuen Buch, Foto: Tobias Bensch
„Alle(s) Gender: Wie kommt das Geschlecht in den Kopf?“ Wen liebe ich, in welchem Geschlecht lebe ich, fühle ich mich wohl darin, wie sehen mich andere, welche Rollenzuweisung übernehme ich, es gibt so viele Facetten der persönlichen Entwicklung, dass dafür ein Abend mit Lesung aus verschiedenen Kapiteln ihres gleichnamigen Buches eigentlich gar nicht ausreicht, um alle Fragen zu beantworten.
Es gibt nur Samen- und Eizelle, die für die Befruchtung verantwortlich sind. Aber die Entwicklung des Embryos bietet schon eine ganze Menge Möglichkeiten, wie ein Mensch sich später nicht so einfach als typisch männlich oder weiblich zuordnen lässt.
Für Inter-Personen nannte Sigi Lieb einige Beispiele, und erklärt in ihrem Buch detailliert, wie das chromosomale Geschlecht, XX und XY, und Veränderungen daran entstehen. Eine spannende Reise in die Biologie und zu vielen Menschen, die Sigi Lieb kennengelernt hat.
Sie ergreift Partei und verweist auf Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder gesellschaftlichen Konventionen anders leben: Teils kastrierte Hijrahs in Indien erscheinen äußerlich als auffällige und grell geschminkte Frauen. „So könnte sich keine weibliche Person in Indien zeigen, sie würde sofort vergewaltigt“, meinte Sigi Lieb, und erwähnt verschiedene Kulturen, die aus verschiedenen Gründen weitere Geschlechter benennen.
Vier oder fünf unterschiedliche Kapitel reißt Sigi Lieb bei der Lesung an.
Woran machen wir fest, wer männlich, weiblich, divers ist? Diese Kreuzchen können wir bei der Geschlechternennung heute setzen. Oder auch weglassen und gar kein Geschlecht angeben. Das sei in vielen Ländern gefährlich.
Im Gehirn entscheiden wir blitzschnell, wer Mann oder Frau ist, auf den ersten Blick. Diese Stereotype erleichtern uns das Leben.
Kategorien für das körperliche Geschlecht, die psychische Geschlechtsidentität, die Geschlechterrolle, also das soziale Geschlecht, und die sexuelle Orientierung hat Sigi Lieb analysiert. Aber so zu sein wie wir wollen und uns dabei wohl zu fühlen und anerkannt zu werden, ist ihr Ziel.
Die gesellschaftliche Diskussion darüber ist ihr ein Anliegen. Sie erläuterte kurz das in Anhörung befindliche neue Selbstbestimmungsgesetz, das noch nicht vom Parlament verabschiedet ist. Für Menschen, die ihren Eintrag im Personenstandsregister dann einfach ändern können, wäre es ein großer Fortschritt.
„Das Transsexuellengesetz stammt aus dem Jahr 1980, benötigt für eine Änderung des Geschlechtes zwei psychologische Gutachten und überprüft sehr intime Details…“ Medizinische Angleichungen des Geschlechts besprach sie nicht. Besonders juristisch müsse Eindeutigkeit herrschen.
Beim Signieren ihres Buches schreibt sie kleine Widmungen.
Sigi Lieb versucht feministische, homosexuelle, transgeschlechtliche und intergeschlechtliche Interessen zu verbinden, ohne die Unterschiede und Widersprüche zu leugnen. Mit messerscharfem Verstand und einer guten Portion Humor und Leichtigkeit nahm Sigi Lieb ihre Zuhörenden mit auf eine Reise in die geschlechtliche Vielfalt.
„Bitteschön!“ Sigi ist im Gespräch mit ihren Leserinnen und Lesern
Sigi Lieb studierte Diplom-Sozialwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg mit interkulturellem Schwerpunkt und volontierte bei der Deutschen Welle in Köln, Bonn und Berlin. Sie arbeitet heute als Beraterin für inklusive, geschlechtersensible und diskriminierungsarme Kommunikation.
Die Moderation hatte Dr. Sandra Mischliwietz, vhs Münster. Eine Veranstaltung in Kooperation mit Kompanera Berufswege e. V.